Pioniere aus dem Bachbett
Die Münchner „Whitefield Brothers“ haben Soul in den Pop zurückgebracht - nun meistern sie die Fusion der Weltmusiken
„Jedermann kann Funk fühlen”, hat George Clinton einmal behauptet. „Die Ironie dabei ist bloß: Je mehr man darüber nachdenkt, umso schwieriger lässt sich das Gefühl fassen.” Wer also das neue Album der Whitefield Brothers noch nicht gehört hat, der sollte sich nicht allzu viel Gedanken darum machen. Denn auf Papier gebracht verwirrt die Aufzählung der an ihrem neuen Album „Earthology”(soeben auf Now-Again erschienen) beteiligten Länder, Instrumente und Musikrichtungen nur: Hip-Hop und Gamelanmusik, Afrobeat und birmanischer Saing Waing. Das klingt nach musikalischen Messies.
Die Münchner Brüder Max und Jan Weissenfeldt (daher das „Whitefield”) sind keine Debütanten, sondern weltweit respektierte Pioniere. Sämtliche Bands und Sänger, die heute zwischen Sidney, London und San Francisco, die roh scheppernden Funk und Soul zu Gehör bringen, egal ob die Dap Kings oder Amy Winehouse, beziehen sich auf die frühere Inkarnation der Whitefield Brothers, die Poets Of Rhythm, die Anfang der neunziger Jahre im Kellerclub „Bachbett” im Münchner Glockenbachviertel legendäre Konzerte gaben.
1992 produzierte die Gruppe ihr erstes Album und löste eine weltweite Rückbesinnung auf die schwarze Musik der sechziger und siebziger Jahre aus. Unter dem Begriff Deep Funk oder Raw Soul eiferte bald man dem Vorbild der Münchner nach, mit Instrumenten und Verstärkern aus der damaligen Zeit den Groove von James Brown oder den Meters nachzuempfinden.
Neues musikalisches Vokabular
Lange blieben die Poets Of Rhythm nicht in der Vergangenheit stecken. Sie schritten vom Epigonentum zum Experiment. Als der Westcoast-Rapper Lyrics Born in einem Second Hand Laden eine ihrer Singles fand, glaubte er, die „tighteste Funkband der Welt” gefunden zu haben und lud sie zu sich ins Studio. Am Ende veröffentlichten die Münchner eine ganze Platte auf dem Hip-Hop-Label Quannum. Nebenbei feilten die Gebrüder Weissenfeldt in diversen Funk-Formationen aber auch mit den Münchner Ethno-Pionieren von Embryo an ihrem Sound. 2001 veröffentlichten sie erstmals als Whitefield Brothers ein „In The Raw” betiteltes Afrobeat-Album, das bald vergriffen Legendenstatus bekam und letztes Jahr beim J-Dilla-Label Stones Throw wiederaufgelegt wurde.
„Earthology” ist das bisher ambitionierteste Projekt der Brüder, weil das Album eine weltmusikalische Horizont-Erweiterung spiegelt. Die unterscheidet sich ganz deutlich von derzeit modischen Afro-Experimenten von Indierockern wie Vampire Weekend. „Wir haben die Songstrukturen schon seit langem über Bord geworfen, um Jazz-, Ethno- und Krautrock-Elemente in unsere Musik einfließen zu lassen”, erklärt Jan Weissenfeldt. Der Titel „Earthology” sei Programm. Denn all die Klänge aus Afrika, Asien und der arabischen Welt, die sie eingearbeitet haben, sind keine Versatzstücke im oberflächlichen Sinne von Hip-Hop-Samples. Ganz in der Tradition der Experimente des Jazz und des Rock in den sechziger Jahre verleiben sich die Whitefield Brothers das erweiterte Vokabular von Grund auf ein.
Über einem losen Funk-Gerüst entfalten sich da indonesische Gamelan-Rhythmen, arabische Skalen, pentatonischer Jazz und die schon etwas bekannteren Afrobeat-Einflüsse. „Sad Nile” oder „Pamukule” etwa leben von einer orientalischen Rhythmik, die sich zwischen das vertraute Fundament und eine aufgelöste orientalische Harmonik schiebt: Mit einem pulsierenden Bass als Taktgeber einer Kakophonie melodischer Ornamente. An anderer Stelle umspielt ein einsames Saxophon einen orientalischen Shuffle, befeuern psychedelische Orgeln eine Melange, die an Sun Ra’s Space-Experimente erinnert.
„Earthology”, staunte ein amerikanisches Webzine, „erinnert an uralte tribalistische Rituale, wiederbelebt von Männern, deren eigene Götter staubige alte Vinylscheiben darstellen”. Um ethnische Authentizität allerdings ist es den Whitefield Brothers nie gegangen. So hat Max Weissenfeldt zwar während einer Reise durch Burma die dortige traditionelle Musik studiert, aber im Unterschied zu sogenannten Weltmusikbands steht hier alles im Dienste eines übergeordneten Funk. Ob Bambusrohre, Oud, Xylophon oder Marimba: Die Instrumente reagieren frei aufeinander.
Afrobeat und Amy Winehouse
So scheint alles in der Musik der Whitefield Brothers organisch aus- und ineinander zu wachsen. Diesen Sinn für das klassische Prinzip der Fusion haben sie bei den Aufnahmen perfektioniert. Da standen ihnen alte Weggefährten aus aller Welt zur Seite: Musiker von Antibalas, El Michels Affair, Quantic, der Express Brass Band und Amy Winehouses Tourband, den Dap-Kings, neben den nicht immer zwingend notwendigen Rappern Edan, Mr. Lif, Bajka oder Percee P. Zumindest passen letztere zur gewagten Vision der Whitefield Brothers: Die Einflüsse ihrer Lehrmeister – von James Brown bis zum Münchner Ethno-Kollektiv Embryo – in einer großen Suite kurzzuschließen, und sich von München aus an die Spitze einer neuen Fusion-Bewegung zu setzen. JONATHAN FISCHER