Boom Bap
Das dreckige Dutzend: Was für ein Glück! Die alten Helden des Hip-Hop sind zurück
Angesichts der Übermacht des Dirty South Raps, von Autotune-Genöle, Synthesizer-Beats und Keyboardkleister, der so routiniert aufbereitet wirkt wie das Buffet einer Fastfoodkette, wünschte man sich zuletzt den Boom Bap der neunziger Jahre, die raffinierte Samplekunst der Ostküstenschule und die Großtaten des Wu-Tang Clan zurück. Und siehe da: Raekwons „Only Built For Cuban Linx Pt. II” (EMI/ IC H20) überholte Jay-Zs neues Album in den Chart! Der Wu-Tang-Veteran hat sich Zeit gelassen für den Nachfolger seines 1995 erschienenen Klassikers „Only Built For Cuban Linx”, der ein düster-molliges Gangster-Opus war, das ungezählte Möchtegern-Scarfaces inspirierte. Nun bringt er wieder die alte Garde (RZA, Method Man, Ghostface Killah, Masta Ace, Inspectah Deck) ins Spiel und greift den Breitwandsound der frühen Jahre auf. Hip-Hop-Noir. Neben RZA garantieren die Produzentenlegenden Marley Marl, J. Dilla und Pete Rock einen Krimi-Soundtrack alter Schule. Am Ende möchte man wie bei einem guten Mafia-Film die Repeat-Taste drücken. Oder Ghostface Killahs neues Album „Wizard Of Poetry” (Def Jam) einlegen. Der New Yorker mit dem gehetzten Rapstil entdeckt die Liebe. Soul-Samples, wuchtige Bässe und die Rhythm’n’ Blues-Stimmen von Raheem Devaughn, John Legend oder Estelle veredeln ein Album, das so macho-sentimental klingt wie, sagen wir, Robert De Niro beim Austausch von Zärtlichkeiten!
Nach zehn Jahren Pause beschert uns endlich auch Rakim , der Dichtergott des Hip-Hop, wieder ein Meisterwerk. „The Seventh Seal” (Ra Music) dreht sich um Numerologie, die Bibel und die Apokalypse. Was aber eigentlich auch egal ist. Gehört haben sollte man Rakims entspannten flow und seine trickreichen Wortspiele. Eine Zeitreise ins New York der neunziger Jahre. Für „Oasis” (Nature Sounds) haben die beiden New Yorker Rapper O.C. & A.G. hochkarätige Beatschmieden wie Show, Lord Finesse and Statik Selektah verpflichtet. Das Ergebnis: knochentrockene Beats, sphärische Glockenspiele und Soulstimmen, dazu ein Flow, der jeden Trend-Bullshit hinwegfegt. Wechseln wir an die ebenfalls retro-verliebte Westküste: Da bietet Dam-Funk mit „Toeachizown” (Stones Throw) bekifften Electro-Soul für die Fahrt im offenen Jeep unter Palmen – mit Zeitlupen-Bässen, Keyboards und Vocoder-Stimmen, die direkt aus dem P-Funk-Mothership zu kommen scheinen. Ganz große Unterhaltung bieten auch People Under The Stairs mit „Fun DMC” (Gold Dust). Zündende Funkrhythmen, Scratches, Gitarrenloops und zwei Könner am Mikrofon. Außerdem preisen sie lieber Grillchefs statt Gangster: „You bring the beef and I bring the crew – oh shit, another barbecue!”
Auch „Parallel Universes” (Gold Dust) von Del The Funky Homosapien und Tame One verweist auf die Zeit, als Hip-Hop noch nicht von vergoldeten Felgen und Video-Chicks schwärmen musste. Ice Cubes Cousin und sein Partner würden problemlos ein Wörterbuch wie eine Reim-Sammlung klingen lassen.Womit wir beim letzten Höhepunkt wären: BK-One, der DJ von Brother Ali, mischt auf „Radio Do Canibal” (Rhymesayers) brasilianischen Funk, Soul und Samba zum Hip-Hop-Klangbett des Jahres. Und am Mikrofon überzeugen auch noch Helden wie Raekwon, Brother Ali, Ponte oder Black Thought.
JONATHAN FISCHER