Eklektik Berlinistan

DJ Ipek politisiert die Clubmusik und kämpft für die Öffnung der islamischen Welt

Identität ist für DJ Ipek keine Einbahnstraße: Türkin, Lesbe, Politaktivistin, Berliner Lokalpatriotin, DJane, Musikproduzentin, Muslimin. Jede Westlerin wäre mit so einer aufgeladenen Biographie zunächst einmal einfach Kosmopolitin. Die schmale Frau jedoch ist so etwas als Sprecherin der türkischstämmigen Schwulen- und Lesbenszene. Damit vertritt sie eine Welt, in der die Gegensätze nicht nur Genres sind. So wie in der Musik, die sie in den Clubs in New York und Tel Aviv, in Mali, Brasilien und China, aufgelegt hat. Ihr Leben ist kein wirres Puzzle, sondern eine Folge von Grenzüberschreitungen.

Das lebt sie durchaus auch in ihrer Musik. Warum nicht ein kurdisches auf ein türkisches Stück folgen lassen? Ein israelisches auf ein arabisches? Folklore auf Techno? DJ Ipeks Clubnächte mögen zwar dank ihrer Mischung aus Türken-Pop, Rai, Bollywood und Balkan-Disco die Tanzfläche füllen. Doch die Deutsch-Türkin sucht dabei immer einen Mehrwert. „Wenn sich die Menschen im Club offen zu ihrer Sexualität bekennen können und niemand wegen seiner Nationalität oder Weltanschauung diskriminiert wird – dann ist die Party selbst Politik geworden”, sagt sie. Der Journalist Daniel Bax hat sie im Booklet ihrer CD „Beyond Istanbul” (Trikont) als „Zeremonienmeisterin der transkulturellen Verständigung” beschrieben.

Dass die DJane und Aktivistin monatlich zwischen Berlin und Istanbul pendelt ergibt sich fast zwangsläufig aus ihrem Lebensstil. Berlin mit seinen 150 000 Türken, erklärt Ipek, biete nun mal die einzige Möglichkeit, offen als türkischstämmige Lesbe zu leben. Gerade in Kreuzberg oder Neukölln müsse man sich nicht ständig erklären. Nach Istanbul reise sie, um etwa für ihre auf dem Münchner Indie-Label Trikont erscheinenden Zusammenstellungen türkischer Clubtracks Lizenzen mit Plattenfirmen zu klären. Aber auch um die dortige, eher im Untergrund lebende Lesben- und Schwulenszene zu stärken. Als DJane, als Politaktivistin und als aufgeklärte Türkin. „Viele Migranten, die in Deutschland aufwachsen, haben eine romantisierte Vorstellung von der Türkei, vor allem, wenn sie wie die Masse der Deutschtürken vom Dorf kommen. Aber Istanbul ist urbaner, progressiver, als viele denken.”

Ipeks Sozialisation verlief zwischen diesen Welten. Die Mutter, eine geschiedene Feministin, zog mit den Kindern nach Berlin. Doch zwischendurch lebten sie beim türkischen Großvater in Izmir. Hier Protestmusik und türkischer Rock, dort anatolische Volksmusik. Die junge Ipek schloss sich in Berlin türkischen Folklore-Gruppen an: „Ich wollte die Türkei einfach immer mit dabei haben.” Sie interessierte sich für den Koran. Und entdeckte, dass sie sich nur in Mädchen verlieben kann. Später studierte sie Sozialpädagogik und suchte offensiv den Austausch mit Gleichgesinnten. Ihr Ziel: mehr Sichtbarkeit für türkischstämmige Schwule und Lesben in der deutschen Gesellschaft. Ipek war an der Gründung von drei Initiativen beteiligt, arbeitete im Jugendknast, als Führungskraft beim Roten Kreuz, in der Senatsverwaltung und in einer Beratungsstelle für missbrauchte Mädchen. Nebenbei organisierte sie Jugendcamps in Israel und Palästina. Ipeks Karriere als Politmanager schien ausgemacht – wäre da nicht dieser Abend im SO 36 gewesen. Als der DJ einer Gay Orient Night ausfiel, fragte der Clubmanager, ob sie nicht übernehmen könnte. „Ich hatte noch nie aufgelegt, und ich hatte nur Kassetten. Aber er überredete mich: ,Egal, du schaffst das schon.‘ Und tatsächlich: Das Publikum zog begeistert mit.”

Heute sind Ipeks monatliche Gayhane („Schwulenhaus”)-Nächte die wichtigsten Treffpunkte der Szene. Sie missioniert am Plattenteller, mischt Berliner Elektronik mit der Musik der Migranten: Eklektik Berlinistan. „Bei Gayhane tanzen alle, die auf türkischen Pop stehen: Türken natürlich, Kurden, Araber, Israelis, Iraner, Brasilianer, rechte und linke Schwule”, erklärt Ipek und schnippt sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Sie lächelt. Ihr Schutz ist ihre Offenheit – und sie würde die eigene Neugier gern weitergeben: „Ich kann von Menschen gesetzte Grenzen nicht akzeptieren. Die möchte ich aufweichen.”

Daher provoziert Ipek gerne: Nach den Anschlägen des 11. September trug sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Don’t panic I’m islamic”. Manchmal bindet sie sich beim Auflegen ein Kopftuch um. Oder sie spielt türkischen Pop aus den sechziger Jahren à la „Seks, Seks, Seks”. Nur Koransuren würde sie – nach unmissverständlichen Warnungen der islamischen Gemeinde – nicht mehr über Technobeats legen. Dabei wird DJ Ipek inzwischen sogar zu regulären religiösen Feiern gebucht. Etwa wenn die Frauen nach der Beschneidung des Sohnes unter sich feiern wollten. „Nachdem die Männer raus sind, komme ich mit der Musik: Dann legen die Frauen ihren Tschador ab und tanzen die ganze Nacht.” JONATHAN FISCHER